ATALA

«Natürlich hat es dieses Atala so nie gegeben. Das muss es auch nicht. Aber ich hatte ja bereits diese wunderbaren Hochflanschnaben. Selten, sehr ungewöhnlich. Und die dann in Kombination mit der schlichten Pedalerie und dem wunderbar gemufften Rahmen ... »


Am gleichen Tag, an dem die österreichische Radsportpionierin Elise Steininger mit 73 Jahren in Wien verstarb, fasste ein junger Radrennfahrer während eines Rennens einen Entschluss, der die Radsporttechnik nachhaltig verändern sollte. Der 26-jährige Tullio Campagnolo hatte sich als unabhängiger Teilnehmer am «Gran Premio della Vittoria» gerade mit drei weiteren Fahrern vom Hauptfeld des Rennens abgesetzt, als sich das Wetter an diesem 11. November 1927 massgeblich verschlechterte: Rund 700 Kilometer von Wien entfernt, am Passo Croce d’Aune, ging der kalte Herbstregen in Schnee über und zwang Campagnolo, beim Anstieg in den Dolomiten den Gang zu wechseln.

Und dies war zur damaligen Zeit tatsächlich noch kein Schalten, denn für eine leichtere Übersetzung mussten die Radprofis anhalten, ihre Hinterräder ausbauen, drehen und die Kette auf das grössere der beiden links und rechts der Nabe montierten Ritzel legen, bevor die Steigung nach dem Einbau des Rades in Angriff genommen werden konnte.

Möglicherweise waren es dann ähnliche Flügelmuttern wie die des Atala, die Campagnolo zur Verzweiflung trieben: Mit klammen Fingern gelang es ihm kaum, die vereisten Muttern zu öffnen – und so verlor Campagnolo wertvolle Zeit und den Anschluss an seine Konkurrenten.

Nur drei Jahre später meldete der Sohn eines Eisenwarenhändlers sein Patent für eine Schnellspannnabe an. Es sollte das erste von 185 Patenten Campagnolos sein, mit dem er gleichzeitig den Grundstein für die Entwicklung seiner legendären Gestängeschaltung Cambio Corsa legte. Seitdem gilt Tullio Campagnolo als einer der einfallsreichsten Entwickler im Bereich der Radsporttechnik, auch wenn sein kreativer Geist während einer beispiellosen Erfinderkarriere bisweilen Komponenten ersann, die in ihrer Funktion durchaus zu wünschen übrig liessen.

Das Campagnolo Nuovo Sport Schaltwerk am Atala der Staeger Collection gehört zweifelsfrei in diese Kategorie, denn obwohl es als Nachfolger der 1953 entwickelten Campagnolo Sport mit einem sehr ansehnlichen Äusseren aufwarten konnte, war es die fehlende zweite Umlenkrolle im Kettenspanner, die den bis 1968 produzierten Dérailleur quasi funktionsfrei machte.

Die in den Rahmenrohren des Atala versteckte Schaltzugführung wirkt in diesem Zusammenhang wie ein Verstärker: So wird es aufgrund der höheren Reibung und der kaum dosierbaren Zugkräfte nahezu unmöglich, einen vernünftigen Wechsel der Kette per Schalthebel auszuführen.

Nichtsdestotrotz ist das grüne Atala eines der optisch reizvollsten Exemplare der Sammlung. Die Komposition aus einer schlichten Antriebseinheit in Verbindung mit seltenen Hochflanschnaben sowie verchromten und farblich abgesetzten Muffen machen das Velo zu einem visuell herausragenden Beispiel für die Handwerkskunst vergangener Tage.